Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit -> OECD belegt, Migrantenhaushalte sind Nettozahler, ausser rechten Hetzern sollte das jedem vernunftbegabten Menschen klar sein!

OECD: Migrantenhaushalte sind Nettozahler

Die dauerhafte Zuwanderung nach Österreich ist im Steigen, und zwar so stark wie in wenigen anderen OECD-Ländern. Das ergab eine Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für die Jahre 2010 und 2011 und auch die vorläufigen Zahlen für 2012. Die Republik profitiert davon: Die Migrantenhaushalte sind Nettozahler, das heißt, sie zahlen mehr Steuern als sie vom Staat zum Beispiel an Sozialleistungen bekommen.

Zuwanderer vor allem aus der EU

Gut 58.000 Menschen kamen laut OECD 2011 ins Land, das waren um 12.500 mehr als im Jahr davor, also ein Plus von 27 Prozent. Einen höheren Anstieg wiesen nur Deutschland und Irland aus. Die Neuzuwanderung nach Österreich lag mit 0,7 Prozent (gemessen an der Gesamtbevölkerung) leicht über dem OECD-Schnitt von 0,6 Prozent. Insgesamt wanderten 2011 gut vier Millionen Menschen dauerhaft in die OECD ein, das waren zwei Prozent mehr als 2010.

Nach Österreich kamen vor allem Migranten aus EU-Ländern, die Freizügigkeit im Europäischen Wirtschaftsraum ist für zwei Drittel der dauerhaften Zuwanderung verantwortlich. Mit Abstand folgt die Familienzusammenführung und dann humanitär begründete Migration.

Beiträge steigen

Die erstmals im OECD-Migrationsausblick durchgeführte Analyse der fiskalischen Folgen der Zuwanderung für die Zielländer zeigt, dass Österreich von der Zuwanderung profitiert: Die Zuwandererhaushalte steuerten zwischen 2007 und 2009 jährlich knapp 2.400 Euro (an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, abzüglich der Transferzahlungen) zur Staatskasse bei.

Im OECD-Durchschnitt waren das zwar 3.200 Euro. Aber dafür erhöhten sich die Nettozahlungen der Migrantenhaushalte in Österreich – anders als für die Masse der OECD-Länder – wesentlich stärker als jene der im Land Geborenen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass ihre Beschäftigungsquote stieg. Allein die bessere Integration hochqualifizierter Migranten in den Arbeitsmarkt könnte die Nettoeinnahmen des Staates um eine halbe Mrd. Euro pro Jahr steigern, berechneten die Studienautoren.

http://orf.at/stories/2187073/

Frau/mann lernt nie aus: Warum Altkleider eher nicht in den Container gehören, sonder an einer dieser Stellen abgeben werden sollten ->

Sozialinfo Wien – Kleidung
http://sozialinfo.wien.gv.at/content/de/10/Institutions.do?liid=10&senseid=1365
Das Geschäft mit den Altkleidern
http://fm4.orf.at/stories/1676227/
Imperium der Lumpensammler
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8923477.html
Humana People to People – Kritik
http://de.wikipedia.org/wiki/Humana_People_To_People#Kritik
Tvind
http://de.wikipedia.org/wiki/Tvind
Die Altkleider-Lüge – Wie Spenden zum Geschäft werden – die reportage 

http://www.youtube.com/watch?v=djXkFedpTrE

Für einen demokratischen Klassenkampf

http://blog.sektionacht.at/2013/04/fur-einen-demokratischen-klassenkampf/

 

 

Dienstag, April 30th, 2013 | Sozialdemokratie

Die Sozialdemokratie hat sich längst von der Idee verabschiedet, gegen den herrschenden Mainstream eine eigene Interpretation der Welt anzubieten und für deren politische Implikationen einzutreten. Mit der Krise wird es höchste Zeit, einen solchen demokratischen Klassenkampf im 21. Jahrhundert wiederzubeleben.

Dieser Artikel erschien anlässlich des 1. Mai 2013 in der Wiener Wochenzeitung Falter.

Nikolaus Kowall

 

 

Als ich am Anfang meines politischen Engagements erstmals mit linker Weltanschauung in Berührung kam, eröffnete sich mir ein Universum voller Verheißungen. In meiner damaligen Vorstellung würden die ausgebeuteten Massen, die Verdammten dieser Erde irgendwann die alte Welt mit den Mitteln des Klassenkampfes niederreißen. Ist erst der Kapitalismus besiegt und die Klassenfrage gelöst, würden sich Nationen, Geschlechter und Ethnien wie Geschwister in den Armen liegen. Wieso sich viele Menschen im Laufe ihres Lebens von dieser Vision wieder abwenden, hat viele Gründe. Vielleicht, weil die revolutionäre Linke ihre großen Versprechen nie einlösen konnte. Vielleicht, weil älter werden und beruflicher Aufstieg den Standpunkt verändern und 3.000 Euro netto pro Monat den Bedarf an Revolution vermindern. Womöglich erschließen auch die zunehmenden Erfahrungen mit der Unvereinbarkeit eines „richtigen Lebens im Falschen“ die unendlichen Graustufen der Welt.

Viele verfallen wegen dieser Einsichten in Apathie oder Zynismus. Andere wenden sich dem Machbaren innerhalb einer sozialen Marktwirtschaft zu und lassen ihre Ziele bescheidener werden. Die kleinen Schrauben, an denen man drehen kann, werden nicht mehr verachtet, sondern gegen die großen Räder, die man bewegen wollte, ausgetauscht. Der ursprüngliche Fokus auf die Ausbeutung der Besitzlosen im Kapitalismus, also auf die Klassenfrage, deren Klärung doch einst alle anderen Probleme lösen sollte, gerät in den Hintergrund und verblasst oftmals völlig. Diesen linken Lebenszyklus gibt es offenbar nicht nur bei Individuen, sondern auch bei sozialen Bewegungen. Der in der österreichischen Arbeiterbewegung bereits 1945 eingeleitete Abschied vom revolutionären Klassenkampf, wurde im Lauf der Zweiten Republik ins Extrem getrieben. Bis zur Wirtschaftskrise 2008 wurde das Thema „Klasse“ in der Sozialdemokratie unsichtbar. Die historische Kernkompetenz wurde einfach abgelegt wie ein unmodern gewordenes Kleidungsstück, für das man sich plötzlich in der Öffentlichkeit genierte. Diese Selbstverleugnung der Arbeiterbewegung führt zur Schlüsselfrage der Sozialdemokratie unserer Zeit: Wie kann sie einen von Erlösungsvorstellungen befreiten „Klassenstandpunkt“ wiedererlangen? Denn Klasse ist für die Sozialdemokratie vielleicht nicht alles, aber ohne Klasse ist alles nichts

Um transparent zu machen, von welchem Standpunkt aus dieser Text geschrieben wurde, werde ich mich kurz weltanschaulich verorten. Ich bin aus Überzeugung Anhänger von parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft. Die Kombination der beiden ermöglicht mehr Durchsetzung von Gleichheit, Freiheit und Solidarität als alle erprobten Alternativen. Ich verteidige in Diskussionen die Marktwirtschaft gegen die Planwirtschaft mit just jenen Argumenten, die der Liberale Friedrich August Hayek in seinem Werk „Der Weg zu Knechtschaft“ 1944 so brillant auf den Punkt brachte. Erhellend ist beispielsweise Hayeks Erkenntnis, dass eine zentrale Sammlung aller Informationen einer Volkswirtschaft unmöglich ist; oder die Einsicht, dass geplante Wirtschaften, in denen der Arbeitsplatz nicht frei gewählt werden kann, auch politisch diktatorischen Charakter annehmen werden. Allerdings verweigere ich Hayek die Gefolgschaft ab der raffinierten, aber falschen Schlussfolgerung, dass staatliche und gewerkschaftliche Eingriffe automatisch in die Knechtschaft planwirtschaftlicher Diktaturen führen müssen. 70 Jahre westeuropäischer Wohlfahrtsstaat sind der Gegenbeweis. Marktwirtschaft ist mit marktfremden Komponenten nicht nur kompatibel, sondern für ihr eigenes Funktionieren darauf angewiesen. Als Sozialdemokrat setze ich mich auf dem Fundament von Marktwirtschaft und Demokratie dafür ein, dass Politik und Wirtschaft in unserer Gesellschaft von einer Mischform marktlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Komponenten bestimmt werden.

Diese Mischform, nennen wir sie „öko-soziale Marktwirtschaft“, steht seit Jahrzehnten von wirtschaftsliberaler Seite unter Beschuss. Selbst die Krise konnte die Marktgläubigkeit nicht nachhaltig erschüttern, obwohl offenkundig wurde, dass die Finanzmärkte, das Paradebeispiel entfesselter Märkte, die Quelle des größten Marktversagens sind. Die Finanzkrise wurde sogar in eine Staatsschuldenkrise uminterpretiert, obgleich die EU-Staaten ihre Verschuldung im Jahrzehnt vor der Krise reduzieren konnten. „Sparen“ bedeutet in der Realität „Rückbau des Wohlfahrtsstaats“, und „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“ heißt übersetzt „Lohnkürzungen“. Der Wohlfahrtsstaat und die Gewerkschaften stehen am Pranger obwohl jene Staaten, wo beide besonders stark sind, die Krise am besten bewältigten (etwa Österreich und die skandinavischen Staaten). Selbst in Zeiten der Globalisierung ist der Absatz der Unternehmen primär von den heimischen Einkommen abhängig – 87 Prozent der Produktion der EU werden in der EU nachgefragt. Gewerkschaften und Wohlfahrtsstaaten stabilisieren Löhne, und damit den Absatz der Unternehmen über alle Wirtschaftsschwankungen hinweg. Trotzdem glaubt das Gros der Wirtschaftstreibenden, die Durchsetzung ihres unmittelbaren Vorteils, etwa ein niedriger Lohnabschluss, sei zu ihrem eigenen Wohl. Der vermeintlich eigene Vorteil ist jedoch nicht nur kein Vorteil aller, sondern er wird für die Unternehmer sogar zum Nachteil. Trotzdem bleiben, ungeachtet aller negativen Erfahrungen der letzten Jahre, „Standortwettbewerb“ und „Gürtel enger schnallen“ die dominanten Denkfiguren in der öffentlichen Diskussion. Das deutet auf eine Resistenz jener marktradikalen Doktrin hin, die alle demokratischen Elemente als marktfremde Störungen erachtet. Die Demokratie soll aus allen Bereichen zurückgedrängt werden, damit die natürliche Ordnung sich angeblich selbst regulierender Märkte gedeiht. Das ist, wie man es auch drehen und wenden will, ein Klassenkampf von oben.

Es waren die Marktliberalen, die die Finanzierungsbasis des Wohlfahrtsstaates aushöhlten. Wegen ihres Drängens wachsen die Löhne seit 25 Jahren nicht mehr mit der Produktivität mit. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen sank seit 1980 von über 70 Prozent auf heute nur knapp über 50 Prozent. Was der Staat bei den Löhnen an Steuern und Sozialversicherung verliert, könnte er sich bei den  gegengleich wachsenden Vermögen mittels Besteuerung wieder zurückholen. Wieder waren es aber die Marktliberalen, die Steuererhöhungen auf der Kapitalseite nicht nur verhinderten, sondern die vermögensbezogene Besteuerung in Österreich zwischen 1990 und 2005 auf nur 1,3 Prozent am Steueraufkommen gedrittelt haben. Es sind auch die Marktliberalen, die den Wohlfahrtstaat für jene Verschuldung verantwortlich machen, die sie durch ihre eigene Steuersenkungspolitik samt Umverteilung von unten nach oben ausgelöst haben. Und es sind die Marktliberalen, die sich am lautesten über die wachsende Menge jener Menschen empören, die steuerlich nichts mehr beitragen; obwohl sie mit ihrer Politik der Lohnzurückhaltung genau den Niedriglohnsektor zu verantworten haben, in dem die (prekär) Beschäftigten keine Einkommensteuer zahlen.

Wie kann Österreich gleichzeitig zu den zehn reichsten Volkswirtschaften der Welt gehören, aber ein angeblich hoffnungsloser Fall der Reformunfähigkeit sein? Wie kann Österreich regelmäßig mehr Waren und Dienstleistungen ausführen als es einführt, wozu es ja es mehr produzieren als konsumieren muss, aber trotz dieses Unterverbrauchs angeblich über seine Verhältnisse leben? Wie kann es sein, dass wir durch den internationalen Freihandel reicher werden, aber gleichzeitig wegen des internationalen Wettbewerbs den Gürtel immer enger schnallen müssen? Wieso müssen Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit und letztlich Lebensqualität deutlich schlechter sein als in den 1970er-Jahren, obwohl wir als Volkswirtschaft mehr als doppelt so reich sind wie damals?

Alle diese Widersprüche lassen vermuten, dass die heute dominanten Erklärungsmuster in Politik, Medien und Wissenschaft grundlegend hinterfragt werden müssen. Es lässt vermuten, dass wir Akteurinnen und Akteure brauchen, die, um mit Marx zu sprechen, die Welt vom Kopf auf die Füße stellen. Es lässt vermuten, dass wir Überzeugungstäter brauchen, die mit größtmöglicher Authentizität zu den Menschen gehen, um diese für einen neuen Blick auf Wirtschaft und Gesellschaft zu gewinnen. Es lässt vermuten, dass es dazu eine Partei braucht, deren Kernkompetenz im Zeichen der Erkenntnis steht, dass Ungleichheit das Resultat gesellschaftlicher Strukturen ist – und diese veränderbar sind. Diese Auseinandersetzung wurde von der Sozialdemokratie bis in die 1980er-Jahre auch aktiv geführt, eine Auseinandersetzung die nichts anderes war als ein demokratischer Klassenkampf.

Viele NGO’s und soziale Bewegungen sind im Prinzip Gruppen mit Spezialinteressen. Für die feministischen Bewegungen stellen geschlechterpolitische Anliegen den Hauptfokus ihrer Aktivitäten dar. Für die Bürgerrechtsbewegung in den USA ist und war vor allem der Kampf gegen Rassismus das entscheidende Mobilisierungsmoment. Die Arbeiterbewegung möchte aber Menschen aller Geschlechter und Ethnien, primär in ihrer Eigenschaft als Klassenangehörige, für politische Ziele organisieren. Das Spezialinteresse der Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen sind jeweils die faktische Gleichstellung. Das Spezialinteresse der Arbeiterbewegung ist, der Klassenkampf. Mit Klasse ist im 21. Jahrhundert keine männliche weiße Industriearbeiterschicht gemeint, sondern eine riesige inhomogene Gruppe in unserer Gesellschaft. Die Klasse, deren politische Vertretung die Sozialdemokratie beanspruchen will, kann unterschiedlich  definiert werden – ganz traditionell als „Lohnabhängige“, eher zeitgenössisch als „99 Prozent“ oder einfach als Menschen, die von ihrer Arbeit leben müssen. Für eine progressive Allianz ist die Sozialdemokratie auf eine Kooperation mit allen anderen sozialen Bewegungen angewiesen. Doch damit es so weit kommen kann, muss sie sich ihrer eigenen Kernkompetenz erst wieder bewusst werden.

Die Idee des Klassenkampfs besagt erstens, dass ein Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit besteht. Zweitens muss die Arbeitsseite solidarisch (und international) kämpfen, um von der Kapitalseite nicht übervorteilt zu werden. Der Klassenkampf ist ein altes europäisches Konzept und das Gegenmodell zum American Dream alias „Vom Tellerwäscher zum Millionär.“ Letzterer besagt, dass jeder Mensch ganz nach oben kommen kann, wenn er nur alle notwendigen Anstrengungen unternimmt. Es ist der US-Traum vom sozialen Aufstieg in einer steilen Hierarchie mittels gewonnener Konkurrenzkämpfe, basierend auf dem Prinzip “the winner takes it all”. Dagegen steht das solidarische Konzept einer vielfältigen, aber politisch gemeinsam agierenden Klasse, die für die Gesamtheit ihrer Angehörigen ein größeres Stück vom Kuchen erkämpft. Im American Dream kann es jeder schaffen, im Klassenkampf können es alle schaffen. „Alle“ bedeutet, dass alle starten und alle im Ziel ankommen. „Jeder“ bedeutet, dass alle starten und nur wenige zum Ziel kommen. Der begriffliche Unterschied zwischen jeder und alle ist die Trennlinie zwischen Marktliberalismus und Sozialdemokratie.

Der „demokratische“ Klassenkampf bedeutet keinen Kampf gegen Menschen, sondern einen Kampf um die Deutung der Gesellschaft. Er möchte der Vorstellung, dass der Vorteil des einzelnen zum Vorteil aller gereicht, ein konsensstiftendes Gleichgewicht aus individuellen und kollektiven Interessen entgegensetzen. Der demokratische Klassenkampf ist nicht Bestandteil, sondern die Existenzberechtigung der Sozialdemokratie. Er ist die Antithese zur Umfragen- und Boulevardpolitik. Die derzeitige SPÖ ist so etwas wie der Klub des toten Klassenkampfs. Man reagiert zwar auf Stimmungsänderungen in der Bevölkerung und implementiert dementsprechend die Verteilungsgerechtigkeit in die tagesaktuelle Agenda, doch niemand käme in der Parteispitze heute auf die „kühne“ Idee, offen für eine weltanschauliche Alternative zum marktliberalen Mainstream zu kämpfen. Wenn sich die sozialdemokratische Position vom Mainstream klar und glaubwürdig unterscheidet, braucht es keine Popuplisten als Alternativen. Unvorstellbar für  das Parteiestablishment, wäre der demokratische Klassenkampf eine Politik, die die SPÖ zu ihrer gemäß Kreisky „natürlichen Größe“ verhelfen würde: Nämlich zu 42 Prozent.

 

Vorbild Island

http://www.taz.de/!101198/

Island rettet in der Finanzkrise die Bürger, nicht die Banken

Kommentar von Jens Berger

Island, das die internationale Bankenkrise als Erstes traf, war so etwas wie der Kanarienvogel in der Goldmine des Finanzsystems. Bergleute hatten den Vogel einst eingesetzt, um vor tödlichen Gasen im Schacht zu warnen.

Angelockt von hohen Zinsen pumpten internationale Banken, Fonds und Kleinanleger über Jahre hinweg Milliardensummen in das weitestgehend deregulierte Bankensystem der 300.000-Seelen-Insel. Am Vorabend der Krise hatten die drei größten Banken des Landes eine Bilanzsumme, die dem Neunfachen der Wirtschaftskraft des Landes entsprach.

Islands Geschäftsmodell, langfristig vergebene Kredite kurzfristig zu refinanzieren, platzte jedoch in der Finanzkrise. Eigentlich hätte der isländische Kanarienvogel im Herbst 2008 am aufsteigenden Gemisch aus toxischen Wertpapieren ersticken müssen. Er zwitschert heute jedoch wieder munter und rettete sein Leben auf eine eher unkonventionelle Art und Weise. Island ließ seine Banken pleitegehen, kürzte keine wichtigen Staatsausgaben und rettete seine Bürger.

Und siehe da – was für deutsche Ohren wie Häresie klingt, hat auf ganzer Linie funktioniert. Erst vor wenigen Tagen würdigte der Internationale Währungsfonds (IWF) Islands „überraschenden“ Erfolg und erklärte das isländische Krisenprogramm zu einem Vorbild für andere Staaten unter internationalen Hilfsprogrammen. Island habe, so der IWF, nicht den Steuerzahler für die Verluste der Banken in Haftung genommen und konnte dadurch das Wohlfahrtssystem erhalten und die Gefahr einer Massenarbeitslosigkeit abwenden.

Kreativität wurde freigesetzt

Es lohnt also, sich einmal näher mit Islands Antwort auf die Krise zu beschäftigen. Der Zusammenbruch des Bankensystems setzte bei den Isländern eine nicht immer marktkonforme Kreativität frei. Anderswo erhielten die leitenden Bankmanager millionenschwere Abfindungen, in Island bekamen sie einen Haftbefehl zugestellt.

Man gründete keine „Bad Bank“, sondern „Good Banks“, in die ausschließlich das solide Inlandsgeschäft überführt wurde. Diese neuen Banken wurden verstaatlicht und übernahmen reibungslos das eigentliche Kerngeschäft. Die fragwürdigen neuen Finanzprodukte und das Auslandsgeschäft – inklusive der horrenden Schulden – blieben bei den alten Banken, die die Regierung wenige Tage später kollabieren ließ.

Während Islands Steuerzahler relativ glimpflich davonkamen, mussten die kreditgebenden internationalen Banken und Kleinsparer, die sich von irrealen Zinsen hatten blenden lassen, ihre Forderungen abschreiben. Das mag für die Betroffenen ärgerlich sein, aber so funktioniert nun einmal der Kapitalismus. Ein hoher Zins geht stets mit einem hohen Risiko einher.

Binnenkonjunktur gestärkt

Islands unkonventionelle Lösung der Bankenkrise war jedoch nicht kostenlos zu haben. Um die neuen staatlichen Banken zu kapitalisieren und die realwirtschaftlichen Kosten der Krise schultern zu können, musste der Staat Kredite des IWF in Anspruch nehmen. Und nun begann der zweite Teil des isländischen Wunders. Während andere Kreditnehmer vom IWF gnadenlos zu Deregulierung, neoliberalen Reformen und Kürzungen der öffentlichen Haushalte verdonnert werden, schafften es die Isländer, der Washingtoner Organisation die Zustimmung für ein Krisenprogramm abzuringen, das in nahezu allen Punkten Neuland war und zudem der traditionellen IWF-Politik widersprach.

Anstatt den Staatshaushalt durch sogenannte Sparmaßnahmen sanieren zu wollen, setzte die Regierung in Reykjavik auf gezielte Programme, um die isländische Binnenkonjunktur zu stärken. Durch die Immobilienkrise überschuldete Privathaushalte kamen beispielsweise in den Genuss eines Teilschuldenerlasses; andere konnten auf staatliche Beihilfen hoffen. So gelang es, eine Masseninsolvenz zu verhindern, die der Konjunktur vermutlich einen Knock-out versetzt hätte.

Aber auch abseits der Schuldenproblematik ging Island neue Wege, indem es nicht die Normalverdiener, sondern die Wohlhabenden durch Steuererhöhungen zur Ader ließ. Dadurch konnte die Regierung Kürzungen im Sozialbereich vermeiden und die Binnennachfrage stabilisieren.

Der Erfolg dieser Maßnahmen war gewaltig – nachdem die Arbeitslosenquote im Sog der Krise auf fast zehn Prozent anstieg, beträgt sie heute nur noch 4,8 Prozent. Und während Islands Wirtschaft im Katastrophenjahr 2009 noch um 6,7 Prozent schrumpfte, wird sie in diesem Jahr den Prognosen zufolge um mehr als zwei Prozent wachsen. Die OECD geht davon aus, dass der isländische Staatshaushalt in diesem Jahr wieder ausgeglichen sein wird. Von solchen Strukturdaten können die meisten Mitglieder der Eurozone nur träumen.

Island macht alles richtig

Nachdem Island in diesem und im letzten Jahr bereits den Großteil der bilateralen Hilfen aus Skandinavien und Polen zurückzahlen konnte, tilgte es im Juni dieses Jahres bereits vorzeitig ein Viertel der IWF-Kredite, indem es rund 500 Millionen US-Dollar (umgerechnet knapp 400 Millionen Euro) nach Washington überwies.

Dies mag für eurokrisengewöhnte Ohren nicht sonderlich beeindruckend klingen – rechnet man diese Summe auf das ungleich größere Deutschland um, kommt man jedoch auf sehr beeindruckende 133 Milliarden Dollar – rund 106 Milliarden Euro. Island konnte bereits zweimal erfolgreich frische Staatsanleihen am Markt platzieren, wurde von den internationalen Ratingagenturen wieder auf „Investment Grade“ heraufgestuft und konnte einen Großteil seiner Krisenschulden wieder zurückzahlen.

Man kann das isländische Modell nicht ohne Weiteres auf andere Staaten übertragen. Islands Antwort auf die Krise zeigt aber, dass das Mantra der systemrelevanten Banken nicht haltbar ist. Island hat bewiesen, dass sich ein Staat in brenzliger Situation durch eine schuldenfinanzierte Stärkung der Konjunktur und durch eine Stärkung der Sozialsysteme retten kann.

Das in Deutschland beliebte Austeritätsdogma gehört auf den Müllhaufen gescheiterter Ideologien. Ein Staat, der nicht seine Banken, sondern seine Bürger rettet, macht alles richtig. Diese Lektion darf in Europa nicht ungehört bleiben.

 

Jens Berger

ist freier Journalist und Mitarbeiter der Webseite Nachdenkseiten des früheren SPD-Kanzlerberaters Albrecht Müller. In seinem eigenen Blog Spiegelfechter schreibt er über die Auswirkungen neoliberaler Politik.

ARMIN WOLF: DER MODERATOR OHNE KINDERSTUBE ÜBER DIE SCHWIERIGKEIT, KRITISCHE FERNSEH- INTERVIEWS ZU FÜHREN

http://zukunft.orf.at/modules/orfpublicvalue/upload/11z0113.pdf – Seiten 10 -12

 

Dass Jeremy Paxman in Österreich eine große Fan- Gemeinde hätte, darf man bezweifeln. Der forsche Starmoderator der BBC – »Newsnight« wurde mit Interviews berühmt – und bei britischen Politikern berüchtigt –, die in Österreich schnell in der Abteilung »Inquisition« abgestellt würden. Legendär wurde Paxman durch ein Gespräch mit dem früheren Innenminister Howard, dem er live im Studio zwölf- mal hintereinander ein und dieselbe frage stellte. Seine oft schon aggressive Annäherung an seine Gesprächspartner begründete »Paxo« einmal so: »Ich frage mich einfach ständig, warum mich dieser lügende Bastard jetzt anlügt.« ->1    Mit dieser Art ist Paxman nicht unumstritten – und trotzdem einer der populärsten und höchstdekorierten fernsehjournalisten Großbritanniens.

Österreich ist anders. Eine einzige Frage in einem »ZiB 2«- Interview mit Fritz Neugebauer, dem Chef der Beamtenge- werkschaft, zu den Gehaltsverhandlungen im Herbst 2011 pro- voziert eine wahre Flut an E-Mails: Wie er den Steuerzahlern erkläre, dass die Beamtengehälter in den letzten zehn Jahren im Schnitt wesentlich stärker gestiegen seien als die Gehälter in der Privatwirtschaft? »Beamtenhetze«, »widerliche Pro- paganda«, »Wischen Sie mal für 1.100 Euro im Krankenhaus Menschen den Hintern aus, dann würden Sie keinen solchen Unsinn fragen«, lauten nur ein paar der Beschwerden. Noch mehr Aufregung herrscht in der »ZiB 2«-Mailbox üblicherweise nur nach kritischen Interviews mit Lehrervertretern. Oder mit Politikern von FPÖ oder BZÖ: »Verhör«, »linke Propaganda« oder »Inquisitor« entrüsten sich da regelmäßig Zuseher/innen über die Befragung und: »Mit welcher Berechtigung spielt sich Ihr präpotenter Moderator als Staatsanwalt auf.« Noch deutlicher wurde ein Anrufer vor einigen Jahren nach einem ausführlichen Interview mit FPÖ-Chef Strache: »Diese rote Zecke Wolf gehört in die Gaskammer!« – was die geduldigen Damen des ORF-Kundendiensts säuberlich notierten.

Es kommen natürlich auch immer wieder positive Kommentare und Komplimente – aber jedes durchschnittliche, etwas kritischere »ZiB 2«-Gespräch zeigt: Viele Seher/innen wollen keine kontroversiellen Interviews sehen (auch wenn sie laut den minutengenauen Quoten-Protokollen der ORF- Medienforschung dabei nicht abschalten). Trotz all ihrer Imageprobleme und Glaubwürdigkeitsdefizite gelten Politi- ker/innen offenbar noch immer als Respektspersonen – und je höher das Amt, umso eher. Einen Gesprächspartner mit einer Nachfrage zu unterbrechen, betrachten viele Zuseher/innen grundsätzlich als Zeichen übler Kinderstube (»Ich habe schon als Kind gelernt, dass man den anderen ausreden lässt. Ihr Moderator offenbar nicht!«) und spätestens beim Regierungs- chef wird es vollends unakzeptabel. Dem Bundespräsidenten, der gerne bedächtig, ausgewogen und differenziert argumen- tiert, ins Wort zu fallen, grenzt an Widerstand gegen die Staatsgewalt, und endgültig zum Sakrileg wird die Nachfrage bei Kirchenfürsten. Nach einem Gespräch mit dem Wiener Erzbischof – dem man mitunter auch im Fernsehen anmerkt, dass er das Format einer Predigt gewöhnt ist (sehr viel Zeit und keine Fragen) – flatterte eine Ansichtskarte in die Redaktion: gedruckt im Verlag »Barmherzigkeit International« und mit einem knappen handschriftlichen Bescheid an den Moderator versehen: »Du bist und bleibst eine Drecksau!!!«

Aber natürlich gibt es auch ganz andere Interviews.

Ein Interview ist schließlich nichts anderes als »eine Befragung oder ein Dialog, in dem der Interviewer Fragen stellt und der Interviewte Antworten gibt«, wie es ein renommiertes US-amerikanisches Wörterbuch der Mediensprache prägnant definiert. ->2    Als journalistische Darstellungsform ist das Interview relativ jung. In amerikanischen Lehrbüchern wird sogar ein exaktes Geburtsdatum angegeben – der 16. April 1836.

»Einige.«

20. 4. 2011 EU-Abgeordneter Hans-Peter Martin auf die Frage, wie viele Mitglieder seine Partei eigentlich hat.

An diesem Tag erschien im New Yorker »Herald« die wörtliche Wiedergabe eines Gesprächs zwischen dem Reporter James Gordon Bennett und der Kronzeugin in einem Mordprozess. ->3    Sehr schnell wurde die neue Form populär – erst vor allem bei Kriminal- und Chronikreportern, später in Berichten über Celebrities aller Art. Zeitweise waren die Zeitungsseiten derart mit Interviews überfüllt, dass sich ein Kommentator 1886 beklagte: »Dieses amerikanische Interview ist erniedrigend für den Interviewer, ekelhaft für den Interviewten und ermüdend für das Publikum.« ->4    Zu dieser Zeit waren auch bereits die ersten Interviews mit Politikern erschienen. Andrew Johnson gilt als erster Präsident der USA (1865 – 1869), der sich wiederholt Gesprächen mit einem Journalisten stellte, die auch veröffentlicht werden durften.

Damit wurde eine journalistische Form etabliert, die Reporter auf Augenhöhe mit jenen Politikern brachte, über die sie zu berichten hatten. Die Legitimation dafür war »der Anspruch der Bürger, über die Handlungsmaximen der Politiker authentisch ins Bild gesetzt zu werden«, schreibt Michael Haller in seinem Standardwerk »Das Interview« ->5 .   Genau dieser »emanzipatorische Anspruch« der Öffentlichkeit – vertreten durch die Medien – gegenüber der Politik macht Interviews mit politischen Entscheidungsträgern auch heute noch zu einer zentralen Form politischer Kommunikation. Live-Gespräche in Radio und Fernsehen gehören zu den weni- gen Situationen, die durch Medienberater und Spin-Doktoren kaum (vor-)inszeniert und kontrolliert werden können – und in denen Politiker gezwungen sind, sich zu erklären, ihre Entscheidungen zu begründen, sich Widerspruch zu stellen und gegen Einwände zu rechtfertigen.

Wie weit ein Interviewer dabei gehen darf – gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – ist beim Publikum und auch bei den betroffenen Politikern immer wieder umstritten, wurde aber 1989 sehr grundsätzlich geklärt: in einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zum berühmt gewordenen Waldheim-Interview der ORF-Journalisten Hans Benedict und Peter Rabl. Es ging um die vieldiskutierte Kriegsvergangenheit des damaligen Bundespräsidenten, und die Redakteure befragten ihn tatsächlich außergewöhnlich hart und strecken- weise auch sehr polemisch. Vor der damaligen »Rundfunk- Kommission« wurden Benedict und Rabl dafür verurteilt – wegen Verletzung des Rundfunkgesetzes –, aber die ORF- Führung berief dagegen vor dem Höchstgericht. Dessen richtungweisende Erkenntnis setzt bis heute den Rahmen für politische Gespräche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – schon allein durch seine schlichte Definition eines Interviews als »Sendeform, die aus kontroversieller Rede und Gegenrede besteht.« ->6    Die Kontroverse, die Konfrontation unterschiedlicher Standpunkte, der Widerspruch wurden hier geradezu als Wesenselement eines Interviews festgeschrieben. Die Rolle des Journalisten erschöpfe sich eben »nicht in der Beisteuerung neutraler Stichworte für Statements des Inter- viewten«, argumentierten die Verfassungsrichter. Vielmehr seien auch »scharf ausgeprägte Standpunkte und provokant- kritische Stellungnahmen« zulässig. Mit gutem Grund: »Weil der Befragte dazu sogleich in freier Antwort selbst Stellung nehmen kann.« Der Fragesteller dürfe zwar nicht »gleichsam rechtsmissbräuchlich-willkürlich agieren« und ein »den Interviewten anprangerndes ›Scherbengericht‹ veranstalten«. Aber die Grenzen »akzeptabler kritisch-provokanter Fragestellung« seien bei einem im öffentlichen Leben stehenden Politiker »grundsätzlich weiter gezogen«.

 »Man kann nicht zu jedem Moment die volle Wahrheit sagen, weil die volle Wahrheit führt dazu, dass die falschen Menschen Geld verdienen.

10. 10. 2011: Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker zur Euro-Krise

2007 ergänzte der neue »Bundeskommunikationssenat« dies in einem weiteren Spruch, nach einer Beschwerde Jörg Haiders über ein »ZiB 2«-Interview mit Ingrid Thurnher. Das Objektivitätsgebot verlange keineswegs, »dass eine Moderatorin Fragen an den Interviewten im sachlich-nüchternen Ton und getragenen Stil eines Nachrichtensprechers vorträgt«, beschied der Senat. Es müsse möglich sein, »pointiert zu fragen und zu formulieren«, den Studiogast mit anderen Meinungen und Widerspruch »zu konfrontieren und ihn ›aus der Reserve zu locken‹.« Zu den von Haider monierten »ständigen Unterbrechungen« durch die Moderatorin stellte der Senat nüchtern fest, »dass es das Wesen eines Interviews darstellt, durch gezielte Fragen eine Stellungnahme zu erhalten und einen Monolog des Interviewten … möglichst hintanzuhalten«. ->7    Auch wenn das Fans und Parteigänger von Studiogästen häufig anders sehen.

Spätestens an dieser Stelle ist ein verbreitetes Missverständnis aufzuklären: Ein Interview ist nur sehr vordergründig ein Dialog zwischen dem Fragesteller und dem Interviewten. In Wahrheit geht es natürlich um ein Gespräch vor und vor allem für Publikum. Das vermeintliche Zwiegespräch ist tatsächlich ein Dreiecksverhältnis: Leser/innen, Seher/innen und Hörer/innen sind die wahren Adressaten von Frager und Befragtem. Oder wie es knapp und präzise in einem Interview-Lehrbuch heißt: »Jedes Interview ist also ein Gespräch mit einem Zweiten für Dritte.« ->8   Journalist und Politiker stehen dabei in einem Grundkonflikt – vor dem gleichen Publikum verfolgen sie zwei grundsätzlich verschiedene Ziele: Aufklärung vs. Überzeugung.

Der Journalist agiert als Vertreter und Anwalt der Seher/innen – er konfrontiert einen Politiker mit Fragen, die sich potenzielle Wähler stellen könnten und die ihnen helfen sollen, politische Entscheidungen oder Absichten besser zu verstehen. Nach einem alten Leitsatz der BBC geht es darum, den Zusehern zu ermöglichen, qualifizierter am demokratischen Diskurs teilzunehmen. Politische Kommunikations- Profis sehen die Einladung in das »ZiB 2«-Studio freilich ganz anders: als Chance auf fünf bis sieben Minuten kostenlose Werbeeinschaltung vor rund 600.000 Zuseherinnen und Zusehern, ein tausendfach größeres Publikum als bei einer sehr, sehr großen Wahlveranstaltung. Die Fragen der Moderatoren sind aus dieser Warte lediglich störende Hindernisse, die man für die Gratis-Sendezeit in Kauf nehmen muss und die im Idealfall ohnehin Anknüpfungspunkte für die geplante Botschaft bieten. Falls nicht, wird eben versucht, Fragen möglichst elegant zu umschiffen oder schlicht zu ignorieren. Oberstes Ziel ist jedenfalls message discipline.

»Ich habe ihm seinen Job nicht weggenommen. Ich habe ihn versetzt.«

7. 11. 2011: Norbert Darabos (SPÖ) über seine Niederlage gegen Generalstabschef Entacher

Stefan Wagner, ein führender österreichischer Medien trainer, spricht das ganz offen aus. In einem Lehrbuch, das sich nicht an Journalisten richtet, sondern eben an Interview- te, gibt er als wichtige Leitlinie vor: »Wer seine Botschaft im Medium platzieren möchte, nimmt den Umweg über Journalisten zwar gerne in Kauf, doch nur dann, wenn er ihn trotz ›lästiger‹ Fragen zu seinem Publikum führt.« ->9    Immer unter dem Motto: »Niemand zwingt Sie oder kann von Ihnen verlangen, auf redaktionelle Ziele Rücksicht zu nehmen, die nicht die Ihren sind.« ->10    Und wer keine Chance darauf sieht, seine Botschaft auf Sendung durchzubringen, hat eben »Terminprobleme«, wenn die »ZiB 2«-Redaktion anruft. Immer häufiger werden Interviews schlicht abgelehnt, wenn sie nicht in die Kommunikationsagenda passen. (Noch heute ist die gesamte Redaktion überrascht, dass Medien-Staatssekretär Ostermayer im Herbst 2011 zur »Inseraten-Affäre« live ins Studio kam, nachdem seine Pressesprecherin ursprünglich wegen »Terminproblemen« abgesagt hatte.)

Den Politikern, die trotzdem kommen, weil sie sich vom Studioauftritt mehr Vorteile als Risiko erwarten, empfiehlt der frühere »Zeit im Bild«-Moderator und nunmehrige Medientrainer Klaus Edlinger eine »Strategie der 3 T«: »1. touch = die Frage kurz berühren, 2. turn = die Kurve kratzen, 3. tell = sagen, was man sagen will.« ->11   Das Ergebnis solcher Kommunikationsstrategien lässt sich nahezu täglich im Fernsehen besichtigen. »Wer gibt, speziell in TV-Interviews, die leblo- sesten Floskeln zum Besten?« fragte sich da »Die Presse« mal und regte einen »Wettbewerb im Leersprechen« unter heimi- schen Politikern an. Der »Falter« widmete dem Phänomen des zunehmend sinnentleerten politischen Interviews sogar  eine ganze Titelgeschichte mit dem nicht unzutreffenden Titel: »Bla blablablabla blabla.« ->12   Daran sind wir nicht völlig unschuldig. Robert Hochners legendärer Satz »Das Archiv ist die Rache des Journalisten am Politiker« verleitet Interviewpartner auch dazu, möglichst wenig Konkretes zu sagen, das ihnen später vorgehalten werden könnte. Und da jede Nachfrage potenziell problematisch ist, wird auch gerne versucht, durch ausdauerndes Monologisieren weitere Fragen zu verhindern. Denn auch die Studiogäste wissen, dass ein »ZiB 2«-Interview nicht länger als sechs oder sieben Minuten dauern kann. (Mitunter überziehe ich genau aus diesem Grund um ein, zwei Minuten und bringe damit Chef vom Dienst, Sendeleitung und die Kollegen auf 3sat ziemlich ins Schwitzen … ).

»Ich darf Ihnen sagen, das ist eine völlig normale, geradezu typische Struktur.«

12. 01. 2011: Karl-Heinz Grasser über sein Haus, das er über eine Stiftung an seine Frau vermietet hat

Mark Twain hat ein Interview einmal knapp und präzise beschrieben: »Üblicherweise besteht es aus einem Inter- viewer, der Fragen stellt, und einem Interviewten, der sie beantwortet.« ->13    Wenn diese wesentliche Regel jedoch beharrlich missachtet wird – und der Interviewte die gestellten Fragen einfach nicht beantwortet – verkommt das vorgebliche Gespräch zur Pseudo-Kommunikation. Statt »kontroversieller Rede und Gegenrede« hört das Publikum Wahlreden, die vom Interviewer bestenfalls kurz unterbrochen werden. Statt Argumentation: Propaganda.

Und trotzdem sind selbst solche Gespräche nicht immer sinnlos. Auch die Art und Weise, wie ein Studiogast auf eine Frage reagiert, sie nicht beantwortet, ihr ausweicht oder abzulenken versucht, kann für die Zuseher/innen lehrreich sein. In manchen dieser Interviews geht es letztlich mehr um die Fragen als um die – wenig sagenden – Antworten. Es geht um die Möglichkeit, Verantwortungsträger mit heiklen Fragen, Vorwürfen und Widerspruch zu konfrontieren. Zumindest in Grenzen. Einem Studiogast zwölfmal die gleiche Frage zu stellen wie Jeremy Paxman in der »Newsnight« der BBC wäre hierzulande nämlich keine so gute Idee. Das mögen die allermeisten österreichischen Zuseher/innen nicht. Und das wissen auch die Politiker/innen.•

  1.  Zitiert nach: Sreenonline: Paxman, Jeremy (1950 –), online unter: http://www.screenonline.org.uk/people/id/571500/ (abgefragt am 5. 1. 2011)
  2.  Weiner, Richard: Webster’s New World Dictionary of Media and Communications, New York 1996, S. 311.
  3.  Brady, John: The Craft of Interviewing, New York 1976, S. 223
  4.  a. a. o., S. 227
  5.  Haller, Michael: Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten, Konstanz 2001, S. 25
  6.  Verfassungsgerichtshof, Erkenntnis vom 21. Juni 1989, B1701/88 – 13 B1847/88 – 10
  7.  Bundeskommunikationssenat, Bescheid vom 26. April 2007, GZ611.907/0006 – BKS/2007
  8.  Wagner, Stefan: Das intoMedia-Prinzip. Strategische Inszenierung von Image und Inhalt in den Massenmedien, Wien 2006, S. 20
  9.  a. a. o., S. 22
  10.  a. a. o., S. 173. Die nützlichste Anleitung für Interviewer in Radio und TV ist im deutschsprachigen Raum übrigens noch immer der Beitrag von Rudolf Nagiller und Hans Besenböck in: Pürer, Heinz (Hg.): Praktischer Journalismus in Zeitung, Radio und fernsehen, 4. Auflage, Salzburg 1996, S. 99 – 117 (leider in den neueren Auflagen nicht mehr enthalten.)
  11.  Zitiert nach: KRoNENZEITUNG vom 23. 8. 2005, S. 70
  12.  DIEPRESSEvom17. 3.2005,S. 3bzw.fALTERvom27. 4.2005,S. 20
  13.  ZitiertnachBrady,Interviewing,S. 227

Der Beitrag beruht auf einem Buchbeitrag des Autors (filzmaier / Plaikner / Duffek (Hg.), Mediendemokratie in Österreich, Wien 2007, S. 273 – 280), der für diesen Band aktualisiert und stark überarbeitet wurde.

Opium des Volkes – Berauscht in der Megakirche

„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“
– Karl Marx: Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1:378

 

Berauscht in der Megakirche