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Autorin: Nina Horaczek (Falter 15/2012)
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Kampf zwischen Mensch und Programm
Der Philosoph Vilem Flusser untersuchte, wie der Umgang mit der Kamera unser Denken beeinflusst. In seinem Text „Die Geste des Fotografierens“ beschreibt er den Tanz des Fotografen um sein Motiv als Suche nach einem philosophischen Standpunkt. Als stärksten Gegner des Fotografen sah Flusser nicht die Kamera selbst, sondern das Programm, das in ihr steckt.
Flusser schrieb seinen Essay in den 1980er Jahren und er starb 1991, also lange bevor die Digitalfotografie größere Verbreitung fand. Deshalb lohnt es sich besonders, diesen Text zu lesen und zu prüfen, ob sich seither die Geste des Fotografierens, also die Beziehungen zwischen Fotograf, Kamera und Motiv, geändert hat.
In seinem Essay beschreibt Flusser, wie ein Fotograf sein Motiv – einen Pfeife rauchenden Mann – umkreist. Er unterscheidet dabei drei Aspekte der fotografischen Geste, die nicht in aufeinanderfolgenden Phasen, sondern in wechselseitigem Spiel ablaufen, während der Fotograf sich mit seinem Gerät durch Raum und Zeit bewegt: „Ein erster Aspekt ist die Suche nach einem Standort, nach einer Position, von der aus die Situation zu betrachten ist. Einen zweiten Aspekt bildet die Manipulation der Situation, um sie dem gewählten Standort anzupassen. Der dritte Aspekt betrifft die kritische Distanz, die den Erfolg oder das Scheitern dieser Anpassung zu sehen gestattet.“
Drei wichtige Erfindungen
Diese drei Aspekte werden durch drei technische Entwicklungen berührt, durch die sich die Arbeit mit Digitalkameras von der mit analogen Geräten unterscheidet: Die mögliche Echtzeitvorschau (Live View) auf das Motiv, die Option zur Aufnahme digitaler latenter Bilder in Form von RAW-Dateien oder Datenbeständen aus der Lichtfelderfassung und schließlich die Möglichkeit, in ein und demselben Apparat zwischen Einzelbildaufnahme und Videokamerabetrieb umschalten zu können.
Schon die Körperhaltung beim Fotografieren ist heute anders als zu Lebzeiten Flussers. Die meisten Menschen halten ihre Fotoapparate oder Smartphones zur Wahl des Bildausschnitts nicht mehr ans Auge, sondern vor sich hin, vom Körper weg. Das schafft Distanz zum Apparat, der damit Teil der Szenerie wird und gleichzeitig auf seinem Bildschirm vorführt, wie sein Programm diese interpretiert. Die Einheit von Fotograf und Apparat, die Flusser in seinem Aufsatz beschreibt, wird damit gelockert.
Manipulation der Realität
Die Echtzeitvorschau auf dem Display der Digitalkamera gibt dem Fotografen mehr Freiheitsgrade und mehr Kontrolle bei seiner Suche nach dem Standort, die für Flusser auch die nach einer philosophischen Position ist: „Die Geste des Fotografen ist eine philosophische Geste, oder anders gesagt: Seit die Fotografie erfunden wurde, ist es möglich geworden, nicht bloß im Medium der Wörter, sondern auch der Fotografien zu philosophieren.“
Die Liveaufbereitung des Bildes schiebt sich zwischen das Motiv und den Fotografen, der durch seine Aktionen und seine schiere Anwesenheit nun nicht mehr nur seine Umgebung manipuliert, sondern auch deren permanent laufende Übersetzung in die digitale Bildverarbeitung. Der Fotograf kann nun also die Kamera dabei beobachten, wie sie die Welt interpretiert. Ob damit seine kritische Distanz zur Umgebung zunimmt, sei dahingestellt, komplexer werden die Beziehungen zwischen Fotograf und Motiv dadurch auf jeden Fall. Der
Realitätspuffer
Dazu kommt, dass die Fotografie ein mehrstufiger Prozess ist: Auf die Aufnahme vor Ort folgt die Auswahl der gelungenen Bilder. Zu Flussers Lebzeiten stellte der Fotograf vom Negativfilm einen Kontaktbogen her, eine Übersicht aller Bilder eines entwickelten Films auf einem Blatt Fotopapier. Darauf konnte er aus den angefertigten Aufnahmen die passendste aussuchen und entscheiden, wie er bei der weiteren Arbeit in der Dunkelkammer vorgehen sollte.
In der analogen Fotografie fungiert der Kontaktbogen als Pufferspeicher für den erfassten Vorrat an Informationen, aus dem heraus der Fotograf dann gezielt auswählt und ein neues Bild konstruiert. Dieser Realitätspuffer ist auch aus ökonomischer Sicht sehr wichtig. Je umfangreicher er ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Fotograf seinen Kunden und seinem Publikum ein passendes Bild liefern kann.
Erweiterter Speicher
Mit Einführung der digitalen Fotografie wurde der Realitätspuffer gewaltig erweitert. Statt sich auf 36 Aufnahmen pro Kleinbildfilmpatrone beschränken zu müssen, kann der Fotograf heute auf einer billigen Speicherkarte Hunderte Bilddateien speichern. Nimmt er diese Bilder in einem Rohdatenformat auf, gibt ihm das in der Nachbearbeitung große Flexibilität. Neue Verfahren wie die Lichtfeldfotografie, die kürzlich von dem US-Unternehmen Lytro vorgestellt wurde, erlauben ihm sogar, die Schärfeebene im Bild nachträglich festzulegen.
Während Rohdatenformat und Lichtfelderfassung dem Fotografen mehr Kontrolle bei der Rekonstruktion der Aufnahme einer bestimmten Situation verleihen, geben ihm die hochauflösenden Videofunktionen seiner Kamera die Möglichkeit, einzelne Bilder aus dem erfassten zeitlichen Ablauf herauszulösen. Der Ausschnitt aus der Raumzeit, in der Flussers Fotograf seine Gesten vollführt, wird mit diesen Techniken in zunehmend hoher Präzision und Weite aus der Realität in den Pufferspeicher übertragen.
Der entscheidende Moment
Mit Umfang und Qualität des Realitätspuffers verlagert sich die Arbeit des Fotografen zunehmend in die Nachbearbeitung. Der „entscheidende Augenblick“ kann nicht mehr nur durch geschickte Bewegung des Körpers in der realen Situation erfasst, sondern auch durch Auswahl am Rechner aus dem Puffer sehr schnell und einfach rekonstruiert werden.
Diese Übergänge in den einzelnen Aspekten der fotografischen Geste von den analogen hin zu den digitalen Systemen nehmen sich weniger abrupt aus, als man vermuten würde, sie haben vielmehr einen fein abgestuften Charakter, ihre Entwicklungstendenzen sind bereits in der Erfindungsgeschichte fotografischer Systeme angelegt. In Summe jedoch schlagen diese Änderungen in eine neue Qualität um, die, folgt man Flusser, in der Praxis neue Perspektiven auf die Realität und damit auf Lebenswelt und Denken der Anwender haben wird.
Herrschaft und Vernetzung
Potenziert wird das noch durch die Möglichkeit der digitalen Vernetzung. Flusser träumte davon, dass es eine basisdemokratische Bildkommunikation gleichberechtigter Menschen über ein freies Netz geben würde, die den unterdrückerischen Tendenzen zentralistisch organisierter Medien entgegenwirken könnte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass diese Zeiten heute schon angebrochen sind.
Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass sich sowohl Plattformen wie Flickr und Facebook als auch die physische Ebene der Netzwerke in den Händen einiger weniger Personen und Unternehmen befinden. Dateiformate für Einzel- und Bewegtbilder sind – mit Ausnahmen – ebenso proprietär wie die Verfahren zur Herstellung fotografischer Geräte sowie die Software zur Nachbearbeitung.
Vom Jäger zum Sammler
In seinem 1983 erschienenen Buch „Für eine Philosophie der Fotografie“ führt Flusser die Bewegung des Fotografen durch Raum und Zeit auf das archaische Bild des „paläolithischen Jägers“ zurück, der „sein Wild nicht im offenen Grasland, sondern im Dickicht der Kulturobjekte“ verfolgt habe. So gesehen sind die Digitalfotografen in erster Linie nicht mehr nur Jäger, sondern vor allem Sammler.
Man könnte sagen, dass sie sesshaft werden, in einem Datenraum, dessen Grenzen von den gewählten Dateiformaten und Nachbearbeitungsprogrammen definiert sind. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn Flusser nicht die Freiheit des Fotografen sowohl an dessen Verbundenheit mit dem Apparat als auch an der Beweglichkeit dieser Einheit in Raum und Zeit festgemacht hätte: „In der fotografischen Geste wird der menschliche Körper derart mit dem Apparat zusammengeschweißt, dass es nahezu sinnlos ist, einem von beiden eine besondere Funktion zuweisen zu wollen. (…) Der Fotograf ist frei, und das nicht trotz, sondern wegen der zeitlichen Determination des Apparats.“
Hier stellt sich die Frage, ob ein still vor dem Rechner sitzender Fotograf eine ähnlich innige Verbindung mit den Werkzeugen der digitalen Nachbearbeitung eingehen wird können wie mit einer Kamera. Die Bedienung von Tablet-Rechnern mit Multitouch-Gesten ist sicher ein Schritt in diese Richtung, aber gerade hinter einfachen Oberflächen stecken in der Regel jene starken Programme, vor deren Übermacht Flusser immer gewarnt hat.
Überwindung des Programms
Flusser unterscheidet zwischen Knipsern, die dem vordefinierten Programm des Apparats folgen, und echten Fotografen, die das Programm verstehen und es kreativ überwinden können. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der eingesetzten technischen Systeme und deren geschlossenem Charakter ist es heute ungleich schwerer als noch zu Flussers Lebzeiten, ein echter Fotograf zu werden. Vielleicht muss der Fotograf heute ein Hacker sein, alternative Programme für Kameras und Computer finden oder schreiben, für digitale Aufklärung sorgen.
Solche freien Fotografen wird die Gesellschaft brauchen, wenn es das neue gemeinsame Denken über den bedeutungsvollen Austausch von Bildern über ein dezentrales Netzwerk geben soll, den Flusser herbeigesehnt hat. Für ihn bot nur diese herrschaftsfreie Kommunikation die Chance, den lähmenden Einfluss zentralistischer Mediensysteme zu brechen. Die Freiheit des Fotografen im Netz ist damit die Freiheit aller.
Günter Hack, ORF.at
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Der youtube-Poster mixedpickles999 schreibt dazu:
1. Wusste ich nicht dass eine Glühbirne 100 Jahre lang brennen kann. 2. Wusste ich nicht, dass der industrielle Komplex schon vor gut 100 Jahren verkommen und verrottet war, dass er weltweit vereinbarte nur noch Glühbirnen zu produzieren, die auch wirklich schnell genug den Geist aufgeben. 3. Wusste ich nicht, dass in der DDR vor 25 Jahren Birnen produziert wurden, die schlicht ewig hielten.
Ein System, welches sogar in modernsten Druckern einen Chip einbaut, der den Drucker ab einer vorbestimmten Anzahl Ausdrucke defekt werden läßt, obwohl der nicht defekt ist, ist wohl unheilbar krank.
“Kaufen für die Müllhalde
Glühbirnen, Nylonstrümpfe, Drucker, Mobiltelefone – bei den meisten dieser Produkte ist das Abnutzungsdatum bereits geplant. Die Verbraucher sollen veranlasst werden, lieber einen neuen Artikel zu kaufen, als den defekten reparieren zu lassen. Die bewusste Verkürzung der Lebensdauer eines Industrieerzeugnisses, um die Wirtschaft in Schwung zu halten, nennt man “geplante Obsoleszenz”. Bereits 1928 schrieb eine Werbezeitschrift unumwunden: “Ein Artikel, der sich nicht abnutzt, ist eine Tragödie fürs Geschäft”.
Gestützt auf mehr als drei Jahre dauernde Recherchen, erzählt die Dokumentation die Geschichte der geplanten Obsoleszenz. Sie beginnt in den 20er Jahren mit der Schaffung eines Kartells, das die Lebensdauer von Glühbirnen begrenzt, und gewinnt in den 50er Jahren mit der Entstehung der Konsumgesellschaft weiter an Boden.
Heute wollen sich viele Verbraucher nicht mehr mit diesem System abfinden. Als Beispiel für dessen verheerende Umweltfolgen zeigt die Dokumentation die riesigen Elektroschrottdeponien im Umkreis der ghanaischen Hauptstadt Accra. Neben diesem schonungslosen Blick auf die Wegwerfgesellschaft stellt Filmemacherin Cosima Dannoritzer auch die Lösungsansätze von Unternehmern vor, die alternative Produktionsweisen entwickeln. Und Intellektuelle mahnen an, die Technik möge sich auf ihre ursprüngliche Aufgabe zurückbesinnen, auf die dauerhafte Erleichterung des Alltags ohne gleichzeitige Verwüstung des Planeten.”